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Reales und Irreales
Ob Juristen oder Journalisten - es ist verblüffend, wie oft sogar in Texten dieser beiden Berufsgruppen, deren Handwerkszeug die Sprache ist, der Konjunktiv falsch verwendet wird. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Der Konjunktiv I ist im Normalfall die richtige Form für Zitate, die man in indirekter Rede wiedergibt. Ein Beispiel: „Der Zeuge hat ausgesagt, die Ampel habe Rotlicht gezeigt.“ Grammatikalisch falsch wäre hier der Indikativ (also die Grundform von Tätigkeitswörtern, auch Normalmodus oder Wirklichkeitsform genannt): „Der Zeuge hat ausgesagt, die Ampel hat Rotlicht gezeigt“ - obwohl auch diese Formulierung eigentlich nicht falsch verstanden werden kann.
Wichtiger ist die korrekte Verwendung der indirekten Rede aber in den vielen Fälle, in denen in längeren Texten – seien es Hausarbeiten, Aufsätze, Urteile oder dergleichen – eine Äußerung eines Dritten in einem eigenständigen Satz auftaucht. Wenn ein Autor oder ein Gericht oder wer auch immer eine andere Person zitiert, wird zwar oft aus dem Gesamtzusammenhang deutlich, dass es sich nicht um die eigene Aussage des Verfassers handelt. Aber wird dann nicht der Konjunktiv I verwendet, kann dies doch manchmal zu dem Missverständnis führen, hier würde der Verfasser des Textes eine eigene Behauptung oder Ansicht artikulieren. Die indirekte Rede schützt ihn dann bei Lesern (m/w/d) vor dem Irrtum, er stehe selbst dahinter bzw. mache sie sich zu eigen. Das kann heikel sein, wenn die eigene Position eine völlig andere ist.
Ein wichtiger Hinweis zum Stil: Wenn über längere Passagen hinweg jemand zitiert wird, ermüdet eine durchgängige Verwendung der indirekten Rede die Leser. Dann hilft der Trick, ab und zu eine Phrase wie „nach Angaben von“ einzuschieben. In diesem Fall ist in dem betreffenden Satz der Indikativ nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Falsch wäre also: „Nach Angaben der Polizei sei [statt: ist] der Fahrer zu schnell gefahren.“
Im Gegensatz dazu steht im Konjunktiv II (auch Irrealis genannt), was nur hypothetisch gemeint ist. Etwas, von dem zumindest der Autor meint, es sei nie geschehen, sei nicht der Fall oder werde nie geschehen. Etwa: „Wäre der Mond eckig, dann …“ Ein gutes Beispiel für die Doppeldeutigkeit, wenn der Irrealis nicht als solcher kenntlich gemacht wird, findet sich auf der Duden-Webseite: „Sonst wohnten wir dort nicht / (deutlicher:) würden wir dort nicht wohnen.“ (Die erste Version kann ja auch in dem Sinn gemeint sein, diesmal habe man dort zwar tatsächlich gewohnt, sonst aber nicht.)
Was kann man alles verkehrt machen? Ein hübsches Beispiel für den falschen Gebrauch des Konjunktivs I statt des Irrealis war auf der Internetplattform X (vormals Twitter) zu finden: „Früher waren sie es, die dem Tod Hohn lachten, die rauchten und tranken, als gebe es kein Morgen.“ Nein! Hier hätte es heißen müssen: „gäbe“ (Konjunktiv II). Denn natürlich gibt es immer ein „morgen“; der Schreiber wollte nur die Haltung von Menschen anprangern, die sich der gefährlichen Konsequenzen ihres Tuns nicht bewusst sind. – Umgekehrt ist es aber in der Regel auch unangebracht, den Konjunktiv II zu gebrauchen, wenn es um eine indirekte Rede geht. Also etwa den Zeugen eines Verkehrsunfalls so zu zitieren: „Der Passant sagte aus, der Fahrer wäre zu schnell gefahren.“ Da muss es heißen: „sei“. Denn zumindest jener Beobachter war ja überzeugt davon, dass die Geschwindigkeit zu hoch war.
Von dem Gebot, in der indirekten Rede den Konjunktiv I zu verwenden, gibt es vor allem zwei Ausnahmen:
1.) Wenn die gebeugte Form des entsprechenden Verbs genauso lautet wie der Indikativ. Beispiel: „Max sagt, er trage lieber Fliegen als Krawatten. Sie stehen ihm am besten.“ Da bleibt unklar: Hat Max den zweiten Satz gesagt, oder ist es eine Aussage des Schreibers? Denn laut Duden-Konjugationstabelle ist „stehen“ auch die korrekte Beugungsform für den Konjunktiv I im Präsens (der Gegenwartsform). Hier kann man sich entweder mit dem Wort „würde“ behelfen (unschön, weil damit normalerweise etwas als irreal Gedachtes gemeint ist). Oder man muss den eigentlich unpassenden Konjunktiv II verwenden. Beispiel: „Sie sagte, sie kämen heute Nachmittag“ wäre die formal korrekte Wiedergabe des ursprünglich ausgesprochenen Satzes: „Wir kommen heute Nachmittag“. (Auch das hat den Nachteil, dass Leser dies als „echten“ Irrealis missverstehen könnten – also glauben könnten, die Betreffenden wollten wirklich nicht kommen, weil es etwa regnet oder das Auto kaputt ist.)
2.) Wenn die dafür erforderliche Beugung (Konjugation) heutzutage altertümlich und gespreizt wirkt. Dennoch schrieb die F.A.Z. im Oktober 2024 zur Diskussion um die Einführung eines integrierten Bachelor im Jurastudium: „Zudem hülfen die immer mit dem LL.B.-Grad verbundene schriftliche Arbeit und die mündliche Prüfung bei der Vorbereitung des Staatsexamens.“ Nicht falsch, aber die SZ oder die taz würden es sicher anders ausdrücken.
Ach ja – und all das gilt natürlich in allen Zeitformen (Tempora), also im Präsens („Sie sagt am Handy, sie sitze gerade im Bus.“), Präteritum („Sie sagt, sie sei am Dienstag in Berlin gewesen.“ [im Indikativ: „Ich war am Dienstag in Berlin.“]), Perfekt („Sie sagt, sie habe gerade im Bus gesessen, als ihr Handy klingelte [streng genommen: geklingelt habe].“), Plusquamperfekt („Sie sagt, [sie sei ins Kino gegangen,] nachdem der Regen begonnen habe [streng genommen: hätte].“), Futur I („Sie sagt, sie werde gerade im Bus sitzen, wenn die Abstimmung stattfindet [streng genommen: stattfinden werde].“) und Futur II („Sie sagt, bei ihrer Ankunft werde die Abstimmung schon stattgefunden haben.“). In den letzten vier Fällen sind die hier beschriebenen Grundsätze auf das bereits im Indikativ vorhandene Hilfsverb anzuwenden, genauso bei Sätzen im Passiv (hier ein Beispiel im Präsens: „Sie sagt am Handy, sie werde gerade von einem unbekannten Mann verfolgt.“).
Prof. Dr. Joachim Jahn, Mitglied der NJW-Chefredaktion, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) a.D., Berlin und Frankfurt